Arbeit neu denken mit: Sarah Genner

Foto: Barbara Hess

Lesedauer: 3-5 Minuten

In unserer Serie «Arbeit neu denken mit ...» befragen wir Expertinnen und Experten aus Wirtschaft und Forschung zur Transformation der Arbeitswelt. In der aktuellen Ausgabe sprechen wir mit der Digitalexpertin Dr. Sarah Genner unter anderem über falsche Vorstellungen von New Work, die Balance zwischen Remote Work und Arbeit vor Ort sowie über gute Führung bei mobil-flexiblem Arbeiten.

 

Foto: 13photo/Rita Palanikumar

Zur Person

Dr. Sarah Genner ist Digitalexpertin, Dozentin und Verwaltungsrätin. Ihr Spezialgebiet sind die Auswirkungen digitaler Medien und Technologien auf Mensch, Gesellschaft und Arbeitswelt. Sie ist als Brückenbauerin zwischen Wissenschaft, Bildung und Praxis unterwegs.

Oft werde ich mit sehr limitierten Vorstellungen von New Work konfrontiert, zum Beispiel: «Wir erlauben Homeoffice, wir machen New Work.»

1. Wie bist du zum Thema New Work gekommen und was interessiert dich an der Arbeitswelt 4.0?

Seit rund 20 Jahren befasse ich mich schwerpunktmässig mit den vielfältigen Auswirkungen der Digitalisierung auf Mensch, Gesellschaft und Arbeitswelt. Das Internet, webfähige Laptops, Smartphones und Tablets in Kombination mit Cloud-Technologien verändern stark, wie und wo wir arbeiten. Das ermöglicht neue Freiheiten und Möglichkeiten. Gleichzeitig findet eine räumliche und zeitliche Entgrenzung statt, die nicht nur einfach ist. Mich interessiert, wie wir ein möglichst gutes Leben im digitalen Zeitalter führen können und wie wir motiviert und effektiv zusammenarbeiten können.

 

2. Welche Aspekte von New Work werden von Arbeitgebern oft missverstanden oder bei der Umsetzung vernachlässigt?

Oft werde ich mit sehr limitierten Vorstellungen von New Work konfrontiert, zum Beispiel: «Wir erlauben Homeoffice, wir machen New Work.» Persönlich gehört für mich alles zu New Work, was die Arbeitsbedingungen mitten im digitalen Wandel verbessert. Für die einen Organisationen bedeutet dies: gemütlichere Büros einrichten und eine Hybrid-Work-Charta einführen. Für die anderen: eine bessere IT-Infrastruktur und in Weiterbildungen investieren. Für die Dritten heisst es vor allem, an der Führungs- und Vertrauenskultur zu arbeiten. Wieder andere arbeiten an gemeinsamen Zielen, am Purpose und an der Teammotivation. Insofern gehört für mich zu jedem New-Work-Projekt am Anfang eine Analyse, wo der grösste Handlungsbedarf besteht, um das Arbeitsklima und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Ich schlage acht mögliche Ziele für New-Work-Projekte vor: https://sarah.genner.cc/blog/was-bedeutet-new-work-konkret

 

3. In der Arbeitswelt 4.0 wird vermehrt auf Vertrauen und weniger auf Regeln gesetzt. Welche drei Tipps hast du für Unternehmen zur erfolgreichen Umsetzung eines solchen Kulturwandels?

An erster Stelle gilt es, klare Ziele zu formulieren und der Belegschaft immer wieder klar zu machen, warum diese Ziele sinnvoll sind. Vertrauen fördert man vor allem durch ethisches Verhalten und Verlässlichkeit: Walk the talk. Nichts untergräbt das Vertrauen mehr, als wenn man Versprechungen macht und diese nicht einhält. Das Vorleben von Werten ist zudem immer effektiver als Werte in Leitbildern, die nicht gelebt werden. Zentral ist neben Prioritäten setzen auch eine wertschätzende Haltung gegenüber Mitarbeitenden. Wertschätzung bedeutet jedoch nicht, dass Führungskräfte sogenannte «nice bosses» sind, ganz im Gegenteil: faire Führungskräfte, die Fehlverhalten ansprechen und Mitarbeitende auch mal gehen lassen, sind langfristig erfolgreicher und wertschätzender als jene, die jegliches Verhalten und auch ungenügende Leistungen stets wertschätzen. Wertschätzung bedeutet somit Fairness und ein angemessenes Fordern und Fördern – mitten im stetigen Wandel.

 

4. Wie fördert und unterstützt man Selbstführung in flexibel-mobilen Arbeitsumgebungen?

Nach meiner Einschätzung sind nach wie vor die meisten Angestellten darauf angewiesen, dass klare Ziele und Erwartungen an sie formuliert werden. Hilfreich ist daher, im Team und gemeinsam mit Vorgesetzten immer wieder Prioritäten und Meilensteine zu klären. Das hilft bei der zeit- und ortsungebundenen Arbeit enorm. Führungskräfte müssen sich der Tatsache bewusst sein: manche Mitarbeitende brauchen mehr Guidance, um ihre optimale Leistung abzurufen, andere brauchen erst recht Freiheiten. Daher ist es zentral, auf verschiedene Persönlichkeitstypen eingehen zu können. Auch für Selbstständige und sehr autonome Fachkräfte ist es wichtig, immer wieder Prioritäten zu setzen und sich daran zu orientieren. Dabei gilt es neben beruflichen Prioritäten auch persönliche zu berücksichtigen: Partnerschaft, Kinder, Freundschaften, Erholung und Schlaf.  

 

5. Welche Empfehlungen hast du, dass sozialer Austausch und Teamwork bei Remote Work nicht zu kurz kommen?

Idealerweise gibt es wöchentliche Teamtage und gemeinsame Lunches, die im Voraus feststehen und eingehalten werden. Zusätzlich muss umso mehr in Teambuilding investiert werden: gemeinsame Ausflüge und Events, an welchen man sich persönlich trifft. Ich bin überzeugt, dass Vertrauen in Fleisch und Blut besser gedeihen kann.

 

6. Nach einer starken Entwicklung hin zu Remote Work während und nach Corona holen viele Firmen ihre Mitarbeitenden jetzt zurück ins Büro. Wie siehst du die Zukunft des Zusammenspiels dieser Arbeitsformen?

Für mich gibt es hier keine Zauberformel: Die ideale Mischung zwischen Remote Work und Arbeit vor Ort ist branchen-, betriebs- und funktionsabhängig. Eine Softwarefirma tickt anders als eine Bäckerei oder ein Grossverteiler, der sowohl viele Büroangestellte hat, aber auch viele, die in der Logistik und an Kassen vor Ort arbeiten müssen. Idealerweise gibt es unternehmensweit einige wenige Leitplanken, z. B. zum Thema Homeoffice oder Remote Work im In- und Ausland, weil es ja auch die Cybersicherheit und nicht nur die Unternehmenskultur betrifft. Den Rest regelt man meines Erachtens am besten auf Teamebene mit einer Hybrid-Work-Charta, in der geregelt wird, wann und wie das Team zusammenarbeitet, wer wann und wie digital erreichbar ist, wie rasch welche Anfragen beantwortet werden und wie oft man sich vor Ort und zu speziellen Team-Events trifft. Das sind harte Auseinandersetzungen, die sich aber lohnen.

 

7. Flesk ermöglicht einen einfachen Zugang zu über 150 professionellen Arbeitsplätzen und Meetingräumen in der Schweiz. Welchen Mehrwert siehst du in externen Workspaces?

Ich bin ein alter Fan von Coworking. Ich sehe dafür das grösste Potenzial für Kreativberufe, Selbstständige und für Wissensarbeitende, die regelmässig mobil-flexibel arbeiten können und nicht täglich pendeln möchten. Gerade auch für Berufstätige mit Familien sehe ich darin eine hervorragende Möglichkeit, Arbeit und Familie besser unter einen Hut zu bringen, weil man weder zuhause arbeiten, aber auch nicht zum Unternehmensstandort reisen muss. Nicht zuletzt können in Coworking-Spaces durch zufällige Begegnungen interessante Innovationen und Kooperationen entstehen.

 

8. Wie schätzt du die zukünftige Entwicklung von externen Workspaces wie Coworking-Spaces in der Schweiz ein?


Persönlich habe ich den Eindruck, dass es momentan ein Überangebot an Coworking-Spaces gibt. Ich erwarte in den nächsten Jahren eine gewisse Konsolidierung: etwas weniger, dafür qualitativ gute Spaces. Flesk ist aus meiner Sicht tatsächlich der vielversprechendste Anbieter, weil es viele Standorte gibt und zudem eine App mit einer hervorragenden Usability.

 
 

Zum Mitnehmen


In den letzten 20 Jahren hat die Digitalisierung die Arbeitswelt massgeblich geprägt. Während technologische Fortschritte neue Möglichkeiten eröffnen, erfordert New Work weit mehr als nur Homeoffice. Eine solide IT-Infrastruktur, die Förderung einer Vertrauenskultur und faire Führung sind entscheidend. Der Ansatz sollte zudem individuell auf den Handlungsbedarf des jeweiligen Unternehmens abgestimmt sein, um echte Verbesserungen zu erzielen.

Foto: Sarah Genner, 2022 – How To Work Better von Fischli/Weiss in Tirana

 

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